Inhaltsverzeichnis:
- Rostock und Schwerin im Wettstreit
- Georg Diederich und die Entscheidung für Schwerin
- Bertha Klingberg und die Bürgerinitiative
- Rainer Prachtl und das Schloss als Symbol
- Das Votum im Schweriner Schloss
Rostock und Schwerin im Wettstreit
Im Sommer 1990 beherrschte nicht die Fußball-Weltmeisterschaft oder die Währungsunion die Schlagzeilen, sondern der Streit zwischen Rostock und Schwerin um den zukünftigen Regierungssitz. Viele Beobachter rechneten zunächst mit einem Sieg der Hansestadt Rostock. Mit rund 250.000 Einwohnern war Rostock doppelt so groß wie Schwerin, das zu dieser Zeit etwa 127.000 Einwohner zählte. Außerdem verfügte Rostock über eine Universität, einen großen Hafen und eine etablierte Industrie.
Am 22. Mai 1990 kam es zu einer entscheidenden Vorstufe. Während einer Sitzung des Regionalausschusses der drei Nordbezirke in Rostock-Warnemünde stellte Rostock offiziell den Antrag, neue Hauptstadt des Landes zu werden. Grundlage war eine Studie der Universität der Stadt. Die Rostocker forderten einen Volksentscheid über die künftige Landeshauptstadt. Doch Vertreter aus Schwerin blockierten diese Initiative. Laut einem Bericht der "NNN" verließen sie den Saal unter lautem Protest, was eine Volksabstimmung verhinderte.
Georg Diederich und die Entscheidung für Schwerin
Im Hintergrund arbeitete Georg Diederich (CDU) intensiv daran, Schwerin zum Regierungssitz zu machen. Der damalige Regierungsbeauftragte für den Bezirk Schwerin erkannte früh, dass eine Entscheidung zugunsten Rostocks langfristig negative Folgen für die Westregionen des Landes haben könnte. Diederich, der sich nach der Wende dem Neuen Forum entzogen und der CDU angeschlossen hatte, wurde zu einem der wichtigsten Befürworter Schwerins.
Er schrieb den Entwurf der Broschüre "Argumente zur Wahl der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern", in der er auf die historische Bedeutung Schwerins als Residenzstadt und Sitz der Herzöge verwies. Auch wirtschaftliche Aspekte flossen ein: Rostock besitze mit Hafen und Universität bereits starke Entwicklungszentren, während Schwerin strukturelle Förderung benötige. In dieser Argumentation sah Diederich die Chance, politische Unterstützung für Schwerin zu gewinnen. Sein Engagement brachte ihm später den Beinamen "Hauptstadt-Macher" ein.
Bertha Klingberg und die Bürgerinitiative
Während Politiker hinter den Kulissen Stimmen sammelten, engagierte sich auch die Bevölkerung. Die 91-jährige Schweriner Blumenbinderin Bertha Klingberg sammelte 17.000 Unterschriften für ihre Stadt, um deren Chancen im Auswahlverfahren zu stärken. Ihr Einsatz war einzigartig: 1993 wurde sie als erste und bisher einzige Trägerin des Ehrenrings der Landeshauptstadt Schwerin geehrt. Diese Bürgerinitiative zeigte, wie stark die lokale Identität und der Wunsch nach Mitbestimmung in der Region verankert waren.
Rainer Prachtl und das Schloss als Symbol
Mit zunehmender Nähe zur Entscheidung verschärfte sich der politische Wettbewerb. Der sogenannte Aufbaustab Schwerins organisierte Besuchsprogramme für Abgeordnete, die in Rostock auf Kritik stießen. Von „Kaffeefahrten“ und „fragwürdigen Methoden“ war die Rede. Dennoch trugen sie offenbar zur Meinungsbildung bei. Irmela Grempler vom Aufbaustab erinnerte sich später daran, dass der Ausblick aus den möglichen Büros im Schweriner Schloss die Entscheidung beeinflusste.
Auch Rainer Prachtl (CDU), der erste Landtagspräsident Mecklenburg-Vorpommerns, bestätigte den Einfluss des Schlosses: „Ohne das Schloss hätte es Schwerin viel schwerer gehabt.“ Die historische Architektur und die Lage am See gaben der Stadt ein repräsentatives Bild, das für viele Abgeordnete überzeugend wirkte.
Das Votum im Schweriner Schloss
Am 27. Oktober 1990 betraten die Landtagsabgeordneten den Plenarsaal im Schweriner Schloss, um über den Regierungssitz abzustimmen. Das Ergebnis fiel eindeutig aus: 40 Stimmen für Schwerin, 25 für Rostock, eine Enthaltung. Damit wurde Schwerin zur Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns bestimmt.
Nur wenige Wochen später besuchte Bundespräsident Richard von Weizsäcker das Schloss und bezeichnete es als „schönsten Landtagssitz Deutschlands“. Mit diesem Lob endete ein Streit, der Mecklenburg-Vorpommern im Jahr der Wiedervereinigung stark geprägt hatte. Seitdem gilt das Schweriner Schloss als Symbol für die politische und kulturelle Identität des Landes.
Quelle: NDR, www.extratimeout.com/de